Erstellt von Heike Kühn | |   Expert*innen-Interview

Professor Dr. Schindler, Direktor des Fernstudieninstitutes der BHT, erklärt, warum das Institut so selten ist wie das Gleis 9 ¾ bei Harry Potter und gibt einen Überblick zu den Möglichkeiten des Lebenslangen Lernens.

 

Herr Dr. Schindler, was haben Sie studiert?
Hier an der Berliner Hochschule für Technik habe ich Biotechnologie studiert. Damals war es die Technische Fachhochschule in Berlin.

Wie und wann sind Sie an das Fernstudieninstitut, also an das FSI, gekommen?
Als Absolvent der Berliner Hochschule für Technik bin ich in die Industrie gegangen und war dort in einem Biotechnologie- bzw. Lebensmitteltechnologie-Unternehmen für die Filtration zuständig. Also für viele Anwendungen in pharmazeutischer und biotechnologischer Hinsicht, aber auch in der Lebensmittelindustrie, wenn es um die Prozesstechnik ging. Das waren vier Jahre. Aus dieser Prozesstechnik hinaus hat mich der Chef der Entwicklungsabteilung in ein Forschungsprojekt für die Entwicklungszusammenarbeit mitgenommen, um ein Umweltlabor im Süden Indiens aufzubauen. Da habe ich dann sechs Jahre verbracht und in dieser Zeit auch meine Doktorarbeit absolviert, als ich dort an der Hochschule war. Wir haben vor Ort ein Labor – eigentlich ein ganzes Umweltinstitut – aufgebaut und sehr viele der damaligen Kollegen haben auch als Professoren gearbeitet. Das war mein erster beruflicher Kontakt in den Hochschulbereich hinein.
Danach habe ich, um die internationale Spanne noch etwas zu erweitern, über vier Jahre ein Trainer-Netzwerk in Südamerika aufgebaut. Dadurch spreche ich fließend Spanisch. Und erst danach bin ich zur Hochschule gekommen und habe diese Erfahrungen aus dem Aufbau des Trainer-Netzwerkes und die Hochschulerfahrung hier im Fernstudieninstitut anwenden können.

Wie würden Sie beschreiben, was das FSI ist? Was kann man hier studieren?
Ich sage es immer gerne so: es gibt hier acht Fachbereiche an der Hochschule und wir sind der Fachbereich 9 ¾. So wie bei Harry Potter. Der Fachbereich, den es eigentlich gar nicht gibt, weil er interdisziplinär ausgerichtet ist. Das heißt, wir arbeiten quer durch alle Fachbereiche. Thematisch haben wir drei Schwerpunkte: Wir arbeiten in der Medizin: im Bereich medizinische Informatik und Arzneimittelentwicklung, das ist der Studiengang „Clinical Trial Management“. Des Weiteren arbeiten wir im Bereich des klassischen Ingenieurswesens: Industrial Engineering und Computational Engineering, also vom Design bis hin in die Organisation von Produktions- oder Wertschöpfungsketten. Und die dritte Säule ist die der Energieeffizienz und der Erneuerbaren Energien. Da haben wir einen Studiengang zur Energie- und Ressourceneffizienz und einen anderen internationalen, also englischsprachigen Studiengang, zu den Erneuerbaren Energien, den wir zusammen mit der RENAC AG hier in Berlin organisieren. 

Welche Vorteile gibt es an der BHT, wenn man sich mit anderen Hochschulen in Berlin vergleicht?
Also, ich denke, dass unser Alleinstellungsmerkmal als Berliner Hochschule für Technik darin liegt, dass wir eine sehr praxisorientierte Lehre abbilden können. Wir haben mehr als 70 fachlich gestaltete Studienprogramme hier an der Hochschule und flankieren das mit einer großen Zahl an Laboratorien, die andere Hochschulen per se so nicht mitbringen. Die Teilnehmenden oder Studierenden können sich bei uns direkt auf das berufliche Umfeld vorbereiten.

Welche Studiengänge sind am FSI denn besonders stark nachgefragt?
Besonders stark nachgefragt sind momentan die medizinische Informatik und das Thema Erneuerbare Energien, zusammen mit der Energie- und Ressourceneffizienz. Aber auch das unterliegt saisonalen Schwankungen. Es gibt dann Zeiten, wo wieder Industrial Engineering sehr stark nachgefragt wird, also eher Management-Themen oder Wertschöpfungsketten zu organisieren. Der sehr spezielle Studiengang „Computational Engineering“ hat eine konstante aber eine kleinere Zielgruppe. Dort werden umfassende mathematische Kenntnisse bei den Studierenden vorausgesetzt. Aber nichtsdestotrotz sind alle unsere Angebote gut ausgelastet und wir erfreuen uns einer guten Nachfrage. Und auch Corona war für uns in der Weise gesehen positiv, dass Menschen sehr viel vertrauter sind mit dem Format der Fern- und der Online-Lehre, aber sich natürlich auch Praxis wünschen. Ausschließlich online zu arbeiten, ist eine Erfahrung, die der Krise geschuldet ist. Das mag kaum jemand. Man möchte Praxiszeiten haben. Und die bilden wir mit den Blended-Learning-Konzepten (das heißt: Onlinelehre kombiniert mit Präsenzzeiten), gerade für Berufstätige, gut ab.

Wie planen Sie das Angebot an Studiengängen und Weiterbildungen auszubauen?
Der Ausbau richtet sich einfach auch am Marktbedarf aus. Wenn wir neue Themen sehen, wie beispielsweise Elektromobilität oder Data Science, die sehr stark nachgefragt sind im beruflichen Umfeld, dann setzen wir uns mit den Fachbereichen zusammen und schauen auch ob Drittmittel akquiriert werden können für diese neuen Themenkomplexe. Beispielsweise sind wir jetzt momentan sehr aktiv in dem Bereich von Virtuellen Realitäten, also Virtual Reality, oder auch Erweiterten virtuellen Anwendungen, wie Augmented Realities. Weitere Zukunftsbereiche, in denen wir uns bewegen werden, sehe ich in der Medizintechnik – dort gibt es sehr viele Prozesse, die zunehmend digitalisiert werden, bis hin zur Telemedizin -  den fortschreitenden Klimawandel und in Zukunft vielleicht auch Krisenbewältigung. Das sind Themen, die sich abzeichnen.

Und es sind ja auch Projekte im Fernstudieninstitut angesiedelt, die ausländische Studierende betreuen bzw. Akademiker*innen aus dem Ausland. Welche Vorteile bietet das FSI für diese Zielgruppe?
Auch das ist eigentlich durch diese 9 ¾ abbildbar, weil wir so interdisziplinär ausgerichtet sind. Das heißt, wir haben keine fachliche Limitierung oder Spezifizierung. Wir können den Menschen aus den verschiedensten Ländern flexibel entgegenkommen, was ihre Studienrichtung angeht. Damit können wir uns auf fast jede Nachfrage einstellen, greifen dann auf Programme von Partnerorganisationen zu, wenn wir es selber nicht anbieten können. Wir können auch nicht alles anbieten. Aber wir sind fachlich sehr breit aufgestellt, können auch beraten und haben Kontakte zu den Unternehmen, weil unsere Teilnehmer*innen ja zum Großteil Berufstätige sind – zum Teil in Personalverantwortung stehende Ingenieurinnen und Ingenieure. Das heißt, wir haben den direkten Kontakt zur Wirtschaft, den wir dann wertvoll einsetzen können für unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Migrationshintergrund, die bei uns im Arbeitsmarkt Fuß fassen wollen. Und insgesamt sehen wir natürlich auch den Vorteil für unsere Gesellschaft, wenn wir Akademiker*innen bei uns in den Arbeitsmarkt integrieren. Das macht uns viel Spaß und macht auch wieder Sinn, wenn man an unsere internationalen Projekte denkt.

Das Thema „Lebenslanges Lernen“ ist Teil unserer Gesellschaft und wird immer stärker forciert. Das Fernstudieninstitut unterstützt diese Entwicklungen. Haben Sie bei den Studierenden einen höheren Altersdurchschnitt feststellen können, als andere Fachbereiche ihn haben?
Ja, absolut. Wir liegen meist weit über dem Altersdurchschnitt als an der klassischen Hochschule, was alleine durch das berufsbegleitende Studium bedingt ist. Und auch deshalb, weil wir im Studienbereich fast nur Masterstudiengänge anbieten. So sind die Teilnehmenden oftmals über 30, wenn nicht weit über 30 Jahre alt. Wir haben per se einen höheren Altersdurchschnitt, was aber dem Lernprozess keinen Abbruch bringt. Man muss die Lernenden halt dort abholen, wo sie sind. Wir haben speziell für diese Zielgruppe – mit einer anderen Altersstruktur – unsere Lernmodule aufgebaut. Es ist einfach passgenau gestaltet für die Altersgruppe, mit der wir arbeiten.

 

Man kann also auch den zweiten oder gar dritten Bildungsweg am Fernstudieninstitut absolvieren?
Absolut. Und das unterstützen wir auch. Das richtige Wort ist „Lebenslanges Lernen“. Ich sage oftmals auch: „Es gibt keine Abschlüsse, es gibt immer nur Anschlüsse.“ Vielleicht an die nächste Lebensphase. Und ja, es ist für eine Wissensgesellschaft, so wie wir es sind, einfach auch überlebenswichtig oder sehr wichtig, ökonomisch gesehen, sich ständig weiterbilden zu können und diese Fähigkeit über die Lebensstrecke nicht zu verlieren sowie Weiterbildungsangebote zu nutzen. Das spiegelt sich auch in dem neuen Koalitionsvertrag wider, wo die Weiterbildung einen ganz anderen Stellenwert erfahren hat, als es in den Legislaturperioden der letzten Jahrzehnte der Fall war.


Wohin möchten Sie das Fernstudieninstitut (FSI) in den nächsten fünf Jahren bringen? Welche inhaltlichen Themen und Schwerpunkte wird es dann in fünf Jahren geben?
Die drei Säulen werden weiterhin Bestand haben, denke ich, und vielleicht noch durch Bachelorangebote in diesen Bereichen flankiert werden. Momentan haben wir ja hauptsächlich Masterstudiengänge bei uns im Portfolio. Wir arbeiten gerade im medizinischen Bereich an Bachelorangeboten. Im Bereich des dualen Studiums sind wir sehr aktiv, um der Hochschule Möglichkeiten zu geben, auch duale Studienformate anzubieten. Da sehe ich großes Wachstumspotential quer durch alle Fachgebiete. Also wir hatten heute gerade eine Diskussion zur Gebäudeautomation. In der E-Technik sind wir schon sehr lange unterwegs. Aber wir haben auch neue Themen am Horizont wie die Arboristik, im Garten- und Landschaftsbau, für grüne Städte, wie es Berlin eine ist. Ich sehe großes Ausbaupotential hier am FSI. Kurzfristig werden wir die dritte Säule noch stärken. Das ist die Projektarbeit und Forschungsprojekte am Institut. Dadurch kommen innovative Themen ans FSI, die wir weiterhin begleiten und auch neu akquirieren möchten. Auch zunehmend internationale Projekte. Auf allen drei Säulen werden wir wachsen. Wir werden kein neues Portfolio aufmachen, sondern uns in diesen drei Bereichen weiterentwickeln.

Was können Sie Teilnehmenden des BeuthBonus+ Projektes raten für ihren beruflichen Weg?
Den Mut zu haben sich mit neuen Dingen auseinanderzusetzen, sich mit der deutschen Kultur auseinanderzusetzen und ein anderes Selbstbewusstsein an den Tag zu legen, durch das Wissen, das sie aus ihren Ländern mitbringen. Sich nicht verstecken zu müssen, ist eine sehr wichtige Botschaft. Und einen starken Fokus darauf zu legen, Sprachkenntnisse zu erwerben. Daran scheitert es wahrscheinlich in den meisten Fällen, gerade in der Anfangsphase. Mit sehr guten Englischkenntnissen und in Arbeitsfeldern, wie der Informationstechnologie kommt man mit Englisch zwar sehr weit, aber es ist auch wichtig sich intensiv mit Kultur und Sprache auseinanderzusetzen. Das Fachliche ist eins, aber das Menschliche ist das Andere und vielleicht auch das Wichtigere. Der Bestandteil im Leben, der auch stabil sein muss. Das wäre meine Message an die Studierenden, dass man nicht mehr in der Landessprache spricht, sondern Deutsch lernt und versucht nur noch auf Deutsch zu kommunizieren. Diese Erfahrung habe ich selbst gemacht: ich habe eine Flüchtlingsfamilie bei mir aufgenommen und sehr viele Dokumente, die in Deutschland ausgefüllt werden müssen, liegen auch tatsächlich nur in Deutsch vor. Allein schon diesem Fakt ist es geschuldet, dass man sich sehr schnell mit der Sprache befassen muss, um sich selbstständig hier in Deutschland und in einem Arbeitsverhältnis zu behaupten.


Vielen Dank Herr Dr. Schindler für dieses interessante Interview!

Foto: ©Tauland Goge